Veni, vidi Vic

Nach nur zwei Stunden Fahrt Richtung Süden erreicht man von den Grampians kommend die malerische Küste von Victoria auf der Höhe von Warrnambool. Wie schnell sich die Umgebung in diesem Land in etwas völlig anderes verwandeln kann, überraschte mich immer wieder. Etwas östlich der Stadt mit dem Nuschelnamen beginnt bereits die wohl berühmteste Straße Australiens, quasi das Hochamt für jeden Motorradfahrer: die Great Ocean Road.

Da ich aber noch recht viel Zeit bis zu meiner Abreise nach Tasmanien hatte, fuhr ich zunächst in die entgegengesetzte Richtung, also nach Westen. Schuld daran war eigentlich Ray, den ich an einer Tankstelle in Maryborough getroffen hatte. Er kam gerade von einer sechswöchigen Solotour auf seiner F800 GS aus Western Australia zurück und meinte, ich müsse unbedingt nach Robe fahren. Respekt, dachte ich. In dem Alter noch allein im Nirgendwo von WA mit dem Motorrad unterwegs – dazu die Hitze, das ganze Gerödel. Ray war locker Mitte siebzig.

Auf dem Weg nach Robe kam ich durch Mount Gambier, das für seine tiefblauen Vulkankraterseen bekannt ist und bereits im Bundesstaat South Australia liegt. Gegenüber Victoria beträgt die Zeitverschiebung hier eine alberne halbe Stunde, die ich entsprechend auch nur auf der Hälfte meiner Uhren einstellte. Ray hatte nicht zu viel versprochen, sowohl der Ort Robe als auch die umliegende Küstenlandschaft waren den Abstecher nach South Australia zweifellos wert. Auch die Unterkunft war sein guter Tipp. Wer in Sachen Gemeinschaftsbad nicht so pingelig ist, bekommt im Caledonian Inn ein beinahe sauberes Zimmer für überschaubares Geld und obendrein ein spitzenmäßiges Essen.

Was die Küste Victorias anbelangt, kann man nicht viel falsch machen. Sie besteht weitgehend aus weichem, bröseligem Sandstein, der sich vom Meer zu spannenden Objekten mit schroffen Oberflächen formen lässt. Das Ergebnis sind fotogene Küstenlandschaften soweit das Auge reicht. Tiefe Risse an den Felswänden beweisen, dass die Absperrungen und Warnhinweise, die man an vielen Stellen sieht, kein Nonsens sind. Für eine günstige Fotoperspektive muss man sie allerdings schon mal ignorieren.

Bisher hatte ich noch keinen einzigen Koala gesehen, das änderte sich nun aber ganz schnell. Gute Chancen hat man in Reservaten wie dem sehr schön angelegten Tower Hill nahe Warrnambool. Dort konnte ich außerdem miterleben, wie ein Emu eine Familie in die Flucht schlug, um an ihr Picknick zu gelangen. Entlang der Great Ocean Road gibt es aber noch viele andere Möglichkeiten, Koalas zu entdecken, denn ihr Lieblingseukalyptus wächst dort quasi überall. Vor meiner Unterkunft in Apollo Bay stand beispielsweise ein solcher Baum. Und siehe da – ich hatte meine private Koala-Show. Ein Spektakel ist das allerdings nicht, denn außer Fressen und Schlafen machen Koalas nicht viel. Dabei sitzen sie vorzugsweise im obersten Wipfel des Baumes in einer Astgabel und lassen sich gemütlich vom Wind hin- und herschaukeln. Eigentlich ein cooler Lebensentwurf.

Kurz vor Apollo Bay gibt es geführte Touren durch ein Reservat, in denen man viel über die einzigartige Natur und die Wildtiere an der Great Ocean Road lernt. Zum Beispiel war ich überrascht, wie ein männlicher Koala klingt. Das tiefe Grunzen hätte ich eher einem Wildschwein zugeordnet als so einem kleinen Knuddeltier. Dass seine Exkremente außerdem nach Eukalyptus riechen, ist ein weiteres hübsches Detail in meinen vielen Reiseerinnerungen. Besonders schön fand ich außerdem den Nationalpark am Cape Otway, wo man für ein paar Dollar auch das Gelände mit dem alten Leuchtturm besichtigen kann.

Das Großartige an der Great Ocean Road (GOR) ist also ganz klar die Natur drumherum – und nicht so sehr die Straße selbst. Mit ihren vielen Windungen bietet sie selbstverständlich viel Fahrspaß, Geschwindigkeitsüberwachung und Tourismusverkehr bremsen ihn aber ein bisschen aus. Außerdem musste ich ohnehin alle paar Meter anhalten, um mal wieder ein Foto zu machen – oder um einfach ein bisschen die Kinnlade runterzuklappen.

Am wenigsten haben mich leider die Zwölf Apostel fasziniert, die aufgrund der Gesteinserosion nur noch zu acht sind. Trotzdem sind sie die Touristenattraktion Nummer eins an der GOR – und entsprechend voll sind die Aussichtspunkte sowie der riesige Parkplatz, von dem aus auch die Hubschraubertouren starten.

Nicht verpassen sollte man Teddys Lookout in Lorne, den man über einen sehr steilen Anstieg erreicht. Von dort oben hat man einen spektakulären Blick auf die Great Ocean Road und sieht mit ein bisschen Glück sogar Kookaburras oder andere farbenfrohe Wildvögel. Richtig bunt treiben es auch die Kakadus mit den Strandbesuchern in Lorne. Besonders wenn diese ihre Süßigkeiten offen durch die Gegend tragen.

Insgesamt verbrachte ich drei Tage an der Great Ocean Road; als Standort wählte ich Apollo Bay. Der Ort ist nicht besonders hübsch, hat aber eine günstige Lage und einen attraktiven Strand.

Mit einem weiteren Zwischenstopp in der Surferhochburg Torquay fuhr ich von dort nach Melbourne weiter. Diese Anfahrt gehörte sicher zu den miesesten, die ich je hatte. Die vielen Staus, Baustellen und Umleitungen vor und in Melbourne haben die eigentlich anderthalbstündige Fahrt auf mehr als vier Stunden ausgebaut. Dass es dabei in Strömen regnete, machte die Sache nicht besser.

Es war immer noch recht kühl, solange sich die Sonne hinter den dichten grauen Wolken versteckte. Ob es also am Wetter lag, dass ich anfänglich mit Melbourne nicht so ganz warm wurde? Eine Rechtfertigung für den Titel „Lebenswerteste Stadt der Welt“, den Melbourne jahrelang innehatte, konnte ich jedenfalls anfangs nicht erkennen. Aber so nach und nach kam ich dahinter.

Anders als beispielsweise in Sydney konzentriert sich das Sehenswerte nicht so sehr auf ein einziges Gebiet. Es manifestiert sich auch nicht unbedingt in Bauwerken, obgleich es sowohl beeindruckend schöne wie den alten Bahnhof an der Flinders Street als auch ausnehmend hässliche wie das Konzerthaus gibt. Es sind irgendwie mehr die Stadt insgesamt und das Flair, das sich in einzelnen Bezirken wie Fitzroy zeigte.

Melbourne hat schön angelegte Parks, viele Museen und überall gibt es Street Art, Straßenmusik und Gastromärkte. Man sieht wesentlich mehr verwitterte Vote-Yes-Plakate als zum Beispiel in Queensland, künstlerisch dekorierte Cafés und Menschen, die sich einfach so zeigen, wie sie sich fühlen. Vielleicht waren doch der Nieselregen und das fehlende Licht schuld daran, dass es bei mir nicht sofort funkte.

Machte aber nichts, denn Melbourne und ich hatten ja noch eine zweite Chance. Nach meinem Aufenthalt in Tasmanien wollte ich noch ein paar Tage in der Stadt verbringen, um meine Abreise zu organisieren und das Motorrad zurückzugeben. Da ich meine Koffer in Brisbane gelassen hatte, bestellte ich neue an die Adresse meines Gastgebers Stuart. Bei Airbnb gibt es den Begriff Superhost für besonders gut bewertete, erfahrene Gastgeber. Und Stuart ist wirklich einer! Nach ein paar Tagen fühlte sich der Aufenthalt bei ihm bereits wie eine WG an. Kein Wunder, denn Stuart hatte bereits 49 Länder bereist und ist ein entsprechend kontaktfreudiger Charakter. Wenn er Gäste habe, fühle es sich für ihn an, als ob er selbst reise, sagte er.

Dann also auf Wiedersehen in Melbourne! Vielleicht siegte die Stadt in meiner Wahrnehmung doch noch über Sydney.

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In der menschlichen Natur