In der menschlichen Natur

Australiens Vorrat an beindruckender Natur ist unerschöpflich, so viel war nach gut sieben Wochen und fast 10.000 Kilometern längst klar. Nicht nur durch die Eindrücke, die ich bisher selbst gewonnen hatte, auch die Australier feiern ihre herrlichen Landschaften und die artenreiche Tierwelt in einer Tour ab. Egal wen man trifft: Die Leute erzählen genauso viel wie gerne von ihren Reisen durch das eigene Land und wie wunderschön es überall ist. Und wir reden hier keineswegs nur von Rentnern in übergroßen Wohnmobilen. Selbst Kinder gaben mir schon begeistert Tipps, welche großartigen Küsten ich mir unbedingt in Tasmanien ansehen müsste.

Oder diese Szene: Ein paar Wochen zuvor saß ich in den Blue Mountains an einer Bushaltestelle in der Nähe der Wentworth Falls, als sich drei Burschen zu mir gesellten. Sie mögen etwa 16 bis 17 Jahre alt gewesen sein und ich fragte sie, woher sie kommen. „Aus Sydney“, sagte der eine. Sie hätten einen Tagesausflug zu den Wasserfällen gemacht und seien ein bisschen gewandert. Und während wir da so saßen, stellte ich mir analog ein paar Halbstarke aus Gelsenkirchen vor. Der eine: „Hey Alter, was geht ab?“ Darauf ein anderer: „Jo, lass uns zum Wandern ins Sauerland fahren.“ Keine Ahnung, wie die Sache für den armen Jungen ausginge. Jedenfalls haben die Australier offenbar keine Schwierigkeiten, ihre pickelnasigen Bildschirmjunkies hinter der Playsi vorzuholen.

Klar, die Medaille hat auch eine Kehrseite. Während meiner Fahrt in die Grampians, wo bereits das nächste Naturhighlight auf mich wartete, musste ich an Nina aus Baden-Württemberg denken, die ich in einem Hostel in Yungaburra kennengelernt hatte. Sie sagte, dass sie sich nach fünf Jahren in Australien wieder ein bisschen nach Deutschland sehne, denn dort gäbe es mehr „von Menschen Gemachtes“. So langsam kapierte ich, was sie damit meinte. Nach Halls Gap fährt man jedenfalls nicht, weil da der Fuchs abgeht. Er liegt da eher begraben.

Auf dem Weg dorthin kam ich durch Mansfield und Castlemaine, zwei Städte, für die Ähnliches gilt. Castlemaine ist eine alte Goldgräberstadt, Geburtsort der XXXX-Bierbrauerei (sie heißt wirklich so) und hat die glanzvollen Zeiten natürlich lange hinter sich. Heute ist Castlemaine einfach eine typische Kleinstadt, in der nicht viel los ist. Die zahlreichen alten Gebäude machen sie aber sehenswert. Vom Burke and Wills Memorial hat man außerdem einen schönen Blick über die Stadt.

Für mich war Castlemaine nur ein Zwischenstopp, aber bei solchen Gelegenheiten trifft man immer wieder auf interessante Gesprächspartner. Wie zum Beispiel Philip, der mir spontan beim Essen Gesellschaft leistete. Er ist Grafiker, hatte beim jüngsten Referendum mit Ja gestimmt und kannte sich mit dem Geschehen in Europa recht gut aus. So entspann sich ein lebhaftes Gespräch über Politik und Geschichte auf beiden Kontinenten.

Nichts los war dann leider auch am Brambuk Cultural Centre außerhalb von Halls Gap, denn es war wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Wie war das noch mit meinem schlechten Timing? Sehr schade, denn auf eine Aborigine-Führung durch den Grampian National Park und die angeblich guten Erläuterungen im Kulturzentrum hatte ich mich besonders gefreut. Zumindest die Touristeninformation ins Halls Gap war aber geöffnet, und der freundliche Tim hatte offenbar große Freude daran, einen Tag Sightseeing im Park für einen bloody German auf dem Motorrad zusammenzustellen.

Am nächsten Tag hatte ich also viel vor. Als Basisstation diente mir ein insgesamt sehr gemütliches YHA-Hostel, auch wenn das Zimmer etwas unter Jugendherbergsniveau war. Der Preis und die Küchenausstattung waren hingegen darüber. Dass die Unterkunft trotzdem Charme hatte, lag vor allem an den beiden jungen und sympathischen Managern. Die Italienerin Linda und ihr australischer Partner Brandon setzten sich gerne abends zum Plauschen mit den Gästen ans Feuer. Da es außerdem viele nette Bewohner gab, fand ich den Aufenthalt sehr angenehm. Dazu trugen vor allem Nina und Hannah bei. Das liebenswerte Paar aus Remscheid reiste schon seit fast einem Jahr um die Welt und wollte ebenfalls Weihnachten wieder zu Hause sein. Irgendwie habe ich mich für die beiden gefreut. Sie sind Krankenschwestern – üblicherweise nicht der Berufstand, in dem man in jungen Jahren bereits Reichtümer anhäuft –, haben vor der Reise lange gespart und die Sache durchgezogen, bevor das Leben zu viele Verpflichtungen mit sich bringt. Hut ab! Nina fotografiert außerdem gerne und hat scheinbar Talent. Wer weiß …

Zu den Dingen, die man in den Grampians gesehen haben sollte, gehören die MacKenzie Falls. Außerdem lohnt sich der Blick vom Boroka Lookout runter auf Halls Gap. Etwas bedrohlich thront der Stausee zwischen den Gebirgszügen über der Stadt. Brandon hat deshalb vorgeschlagen, im Falle eines Buschfeuers im Tal einfach den Damm zu öffnen. Australier denken da scheinbar praktisch.

Etwas weiter nördlich kann man sich zwei Felswände mit indigener Malerei ansehen. Zu diesem Zweck muss man leider durch ein Absperrgitter lugen, denn auch in Australien gibt es Witzbolde, die meinen, ihren Tinnef auf Kulturgüter schmieren zu müssen. Deshalb sind diese Leute genderneutral nicht als Beschmierende, sondern als Beschmierte zu bezeichnen.

Große Kunst stand auch irgendwo einfach am Straßenrand. Ich tippte auf ein Kinderwerk, jedenfalls ganz sicher von Menschen gemacht. Beuys hätte bestimmt seine Freude daran gehabt.

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